Es ist Montag, 15:00 Uhr und das hier
ist ein Brief von mir an dich.
Danke fürs Öffnen und Lesen.
Felix
etwas aus…
meiner Kamera
Ein Foto, aufgenommen am 4.6.2017 in München im Zoo. Wir waren seit einem halben Jahr ein Paar, vor einigen Wochen hatten wir uns entschlossen keine Tierprodukte mehr zu essen. Francis Bacon in der Pinakothek der Moderne, Fußschmerzen, Eis aus Datteln… alles weit weg. Und die Schildkröte?…die vielleicht vor uns schon da war und wahrscheinlich nach uns auch noch…für die sind sechs Jahre… (das kann ich mir nicht vorstellen)
dem Film
Wer kennt Filme von Wim Wenders? „Himmel über Berlin“ und „Paris, Texas“ sind vermutlich die bekanntesten.
In der ARD-Mediathek gibt es bis zum 19.07.2023 „Desperado“ zu sehen. Ein Film, der in fast zwei Stunden Werk und Arbeitsweise des deutschen Regisseurs betrachtet. Neben Wenders selbst kommen Willem Defoe, Francis Ford Coppola, Werner Herzog, Patti Smith und andere zu Wort und versuchen schlaue Dinge zu sagen.
Es geht um Identität im Nachkriegsdeutschland und die Flucht in die amerikanische Kultur, dann die Erkenntnis, dass es einem Europäer zwar möglich ist, einen Film in den USA zu drehen der aussieht wie ein amerikanischer Film, der aber nicht wirklich ein amerikanischer Film ist. Es bleibt eine europäische Perspektive.
Wenders, wie auch Herzog, gibt dem Drehbuch Raum sich zu entwickeln. Eine Erzählung würde nur dann Sinn machen wenn der Ausgang ungewiss sei, sagt er.
Diese freie und risikoreiche Art des Filmemachens ist nicht kompatibel zu Hollywood. Da muss feststehen was gedreht, und womit Geld verdient wird.
„Heute macht da niemand mehr mit“
sagt Wenders in nüchtern monotoner Olaf Scholz-Stimme. Was sagt das über unsere Zeit?
Alles zu geplant, zu gewinnmaximiert, zu statistisch belegt? Vermutlich ja.
Wie gut, dass es diese alten Geschichten gibt, in denen Filme machen noch ein riskantes Abenteuer war. Ohne Plan, Regeln und Drehgenehmigung. Ein Leben, ein Werk ohne doppelten Boden und ohne Reichtum. Ein Leben in Unsicherheit. Radikale Freiheit.
Wer nach Desperado einen grandiosen „modernen“ Film von Wim Wenders sehen möchte, leiht „Das Salz der Erde“ (2014 / IMDb 8,4) aus, eine Dokumentation über den Fotografen Sebastiao Salgado der das Schrecken sah und fotografierte und sich irgendwann in die Natur flüchtete.
meinem Tagebuch
Vom 10.05.2023 | Mittwoch | 14:07
„Das muss gut werden…stimmt überhaupt nicht. Muss nicht gut werden. Der Trick könnte sein mit einer gewissen Anspruchslosigkeit an Dinge heranzugehen. So wie an diese Tagebucheinträge. Nichts ist für die Ewigkeit, warum dann dieser Druck? Bei zweiten und dritten Entwürfen kann man ja dann immer noch einen gewissen Anspruch haben. Aber das erste Ding? Einfach raus damit! Drauf los, hinrotzen, alles was geht, egal ob schlecht oder gut. Zensieren und editieren lässt sich doch später noch. Hohe Ansprüche zu haben wirkt am Anfang fast immer kontraproduktiv.“
den Kopfhörern
„Positive Charge“ (Spotify | Apple) heißt der neue „The Gaslight Anthem“ - Song. Der erste seit 2014. Dann überhöre ich beim ersten Hören fast den Refrain und denke: „die arbeiten mit den besten Produzenten, in den besten Studios… und dann sowas?“
Und Brian Fallon singt unbeirrt weiter:
„I wanna live, I wanna love you a little longer“
In dieser hoffnungsvollen, fast kindlichen Romantik.
„Mein Gott du bist 43 Jahre alt“ will ich schreien.
Und dann höre ich „Positive Charge“ nochmal und nochmal und dann nochmal.
Am Ende ist in meinem Kopf wieder 2013 und ich bin 21 und ich schwärme große, blumige „The Gaslight Anthem“- Worte und Gedanken. „Wild hearts, Blue Jeans and white T-Shirts…“, „You and your high top sneakers and your sailor tattoos…“, „and while you tell me fortunes in American Slang…“, „Every word handwritten…“
Ach scheiss drauf…
Ich mag den neuen Song!
mir
Ich probiere viel aus. Meistens nicht physisch, sondern erst in Gedanken.
Ideen, Konzepte, Systeme…von denen ich mir kreativen Output erhoffe. Das meiste davon wird nicht realisiert, das was übrig bleibt schafft es vielleicht in mein Notizbuch, für den kleinsten Teil mache ich Designs, plane Inhalte vor und überlege mir einen thematischen Rahmen.
Was will ich auslösen?
Welche Symbolik ist da drin vergraben?
Wenn ich überzeugt bin, fange ich an zu schreiben und zu filmen.
Dann veröffentliche ich es und hoffe, dass ich ein gutes Gefühl dabei habe…
Heute war so ein Tag an dem ich KEIN gutes Gefühl mehr hatte.
Die Zweifel wurden zu laut. Dann hilft nur eins:
Nicht zu lange warten; Es sich nicht zu lange schön reden… LÖSCHEN.
Es gibt keinen Platz für halbherzige Projekte. Es gibt keinen Platz für Etwas, hinter dem du nicht zu hundert Prozent stehst. „Hell Yeah or NO“ wie Derek Sivers sagt.
Natürlich ist das eine Art von Scheitern, aber ein Scheitern, dass schlimmeres verhindert.
Ein Scheitern das nötig ist.
Danach frage ich mich immer:
„Warum hast du geglaubt das ist eine gute Idee?“
„Warum hast du nicht gesehen wie prätentiös, wie unnötig das ist?“
Ich bin kreativ im Ausreden finden, im „Sinn hinein interpretieren“.
Realisiert wird immer erst nachher, nach Stunden der Arbeit und des Drucks.
„Die Bekämpfung kognitiver Leichtigkeit“ hieß dieser frische Fehlschlag, dieses erneute Scheitern. Ist aber ja wohl notwendig um besser zu werden. Also auf’s nächste Mal.
Nächsten Freitag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Bis dahin:
Frohes Scheitern und daraus Lernen.
Wenn du möchtest antworte mir auf diesen Brief.
hochachtungsvoll
dein Felix