Englischer Rasen ist mir gerade lieber...
#33 Hat es der Fußball noch verdient Lebensmittelpunkt zu sein?
Gestern hat Deutschland gegen Spanien das EM-Viertelfinale verloren.
Das war dramatisch und spannend, was bei vielen Fußball-Spielen mittlerweile anders aussieht.
Die Devise ist allzu oft “Keine Fehler machen”. Das sorgt dann dafür, dass eine Mannschaft wie Frankreich es ohne, aus dem Spiel herausgespieltes, Tor ins Halbfinale schafft.
Oft heißt es: 0:0 nach 90 Minuten, das (zumindest in der Gruppen-Phase) beiden Teams hilft, aber nicht den Fans.
90 Minuten fühlen sich an wie Scorseses “The Irishmen” (nichts gegen den Maestro…ich mag “The Irishmen”)
Aber ich sitze da und frage mich: “Warum eigentlich?” Weil es spannend ist?
90 oder sogar 120 Minuten Langeweile für 5 spannende Minuten? Das kann’s doch nicht sein…
Was wenn ich sage, dass ich eine Alternative für mich (wieder)gefunden habe?
TENNIS!
Ich sehe dein ungläubiges Augenrollen, ein tiefes “Triangle of Sadness” zwischen deinen Brauen, spüre den erhöhten Blutdruck… aber vielleicht atmen wir gemeinsam kurz durch, schütteln die Werbekampagnen von UEFA, Tipico und DFB für einen Moment ab und geben diesem, “ach so elitären” Tennissport eine Chance.
Parallel zur EM zeigt Amazon Prime aktuell alle Spiele aus Wimbledon, dem wohl wichtigsten Grand Slam… und eins vorweg: Ich bin begeistert. Aber lass mich kurz noch einen Bogen schlagen:
Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend immer wieder Tennis-Phasen. Als kleiner Junge war es immer Andre Agassi, den ich irgendwie gut fand, obwohl er, als ich dann zuschaute, schon lange seinen Zenit überschritten hatte.
Dann kamen die großen DREI, die den Tennis-Sport 20 Jahre lang dominierten (Federer, Nadal und Djokovic waren zusammen 947 Wochen an der Spitze der Weltrangliste. 18,2 Jahre!) - und “TOP SPIN” für die Xbox… näher kam ich physisch nie dran, abgesehen von ein paar unbeholfenen Schlägen mit zwölf auf einer Hotelanlage am Gardasee.
Jetzt aber zum Wesentlichen:
Warum Tennis, als Fußball-Alternative, eine Chance geben?
Argumente lesen sich besser kurz. Hier also:
8 Argumente warum Tennis besser ist als Fußball
Siege sind verdient - Es gibt keinen glücklichen Konter nach einer Abwehrschlacht, kein Unentschieden das beiden nützt (man muss nur an die dritten Gruppenspiele der EM denken) und kein Elfmeter-Schießen, das nur wenig über Qualität und, wenn überhaupt, etwas über Nerven aussagt. Nach mehreren Stunden Tennis hat es der Sieger verdient…auch wenn am Ende vielleicht nur Nuancen entscheiden.
Tennis biedert sich nicht an - Der Tennis-Sport rund um die großen Grand-Slams (und die ATP / WTA Touren) wächst nachvollziehbar und sucht nicht permanent nach Maximalsteigerungen der Einkünfte. Preisgelder steigen ungefähr mit der Inflation, es gibt kein Grand Slam in Qatar, und die Luxus-Marken die schon lange dabei sind treten dezenter auf. Diese Geradlinigkeit stellt Sport und Tradition in den Vordergrund. Da ist weniger Platz für moralisch fragwürdigen “Ausverkauf”
Die Berichterstattung - Amazon Prime schafft es, das bei vielen als elitär abgestempelte, Wimbledon frisch zu präsentieren. Da kommentieren sympathische Ex-Spielerinnen wie Andrea Petkovic auch mal neben Gästen wie Mats Hummels. Dabei geht es dann eben nicht nur um die immer gleichen Dinge (wenn Millionen zuschauen scheinen ARD und ZDF “extra steif” senden zu müssen) sondern es ist, neben Fachkompetenz, auch mal Platz für Humor und Plauderei.
Identifikationsfigur - Nach Steffi Graf und Boris Becker war es lange schwierig deutsche Identifikationsfiguren im Tennis auszumachen (Angelique Kerber schaffte das zuletzt mit ihren Grand-Slam-Titeln 2016 und 2018), jetzt ist da allerdings seit einigen Jahren Alexander “Sascha” Zverev, der mit 27 im besten Tennisalter ist und nach Olympia Gold in Tokio, jetzt möglicherweise vor seinem ersten Grand-Slam-Titel steht.
Kontaktlos - Es gibt kein Zeitspiel, niemand rollt sich theatralisch auf dem Boden rum, es gibt selten grobe Unsportlichkeiten.
Intensität - Jedes Spiel ist ein KO-Spiel: intensive Duelle, in denen sich keiner der Kontrahenten ein Nachlassen erlauben kann. Mentale Stärke ist genauso wichtig wie Körperliche. Im Gegensatz zum Team-Sport liegt die Verantwortung ganz allein bei zwei Menschen… (abgesehen vom Doppel), keine Möglichkeit sich zu verstecken… das schreibt dramatisch spannende Geschichten bis an die Grenzen.
Publikum - Die Stadien sind kleiner, der Rahmen angenehm respektvoll, ruhig und darauf ausgelegt den Spielern die Möglichkeit zu geben möglichst fokussiert zu spielen. Die Stille bei Aufschlägen und spektakulären Ballwechseln entlädt sich in Jubel und Begeisterung. Am Ende der Spiele gibt es häufig Interviews auf dem Platz, auf die das Publikum vor Ort reagieren kann. Das baut Bindung auf.
Zeit - Tennis lässt sich gerade bei “Best of 5” - Spielen Zeit. Da begleitet einen ein Spiel schon mal den ganzen Nachmittag. Es kann sich entfalten und entwickeln. Im letzten Satz ist man dann emotional einfach mitten drin.
Ich verstehe das… Tennis wirkt einfach weniger nahbar, manchmal sogar “versnobt” und ist kaum in unserer Gesellschaft verankert.
Fußball bleibt Lebensmittelpunkt. Dafür sorgt aber auch eine Geschäfts- und Marketing-Maschine.
Es lassen sich einfach zu gut Billig-Trikots, Billig-Würstchen, Billig-Bier, Billig-Videospiele und vieles Andere für VIEL Geld verkaufen… oder als Motor für Sportwetten “Du willst es, du kriegst es" … halt die Fresse Tipico.
Sollten wir uns bei den aktuellen Rahmenbedingungen nicht die Frage stellen:
Hat es der Fußball denn noch verdient Lebensmittelpunkt zu sein? Unterhält er wirklich besser als andere Sportarten? Ich weiß ja nicht…
Während die Fragen ungeklärt bleiben, schau doch einfach mal bei Wimbledon vorbei!
Morgen, am 08. Juli spielt Zverev sein Achtelfinale.
Bis zum nächsten Mal
(Wenn du mehr lesen möchtest, schau auf meiner Blog-Seite vorbei)
Dein Felix