Hey Du,
Ich verändere ab heute, mit Brief #26, die Art und Weise wie ich hier wöchentlich an dich schreibe. Etwas neu zu durchdenken ist manchmal notwendig und passiert durch Fragen wie:
”Was möchte ich hiermit erreichen?” oder “Welche Art des Ausdrucks macht mir am meisten Freude?”
Grundlegend will ich persönlich, offen, ehrlich und nah sein. Das scheint mir doch das Wichtigste, das Menschlichste. Ich will über das schreiben, was mich gerade bewegt, berührt und beeindruckt - ohne mich selbst zu zensieren.
Ich habe das Gefühl, dass die ordnenden Unterpunkte, mich als Schreiber einschränken und den Text dabei unpersönlicher machen.
Ab jetzt also alles in einem Block. Hier mal ein Foto, da mal ein Zitat, aber alles miteinander verbunden. Das ist vielleicht etwas schwerer zu lesen, aber inhaltlich wird sich’s lohnen.
Melina und ich waren für zwei Tage in Hamburg. Hin, ganz entspannt im ICE, Zurück, etwas lauter, länger und günstiger mit Flixtrain. Im Nachhinein betrachtet war meine Entscheidung, vor einem Jahr das Auto wegzugeben, eine sehr gute.
Die romantische Verklärung des Roadtrips endet meist spätestens an der ersten Sanifair-Toilette, gefolgt von rücksichtslosen Rasern, Rückenschmerzen, Parkgebühren und genereller Erschöpfung.
Nicht, dass Zug-Fahren immer gut tut… (Auf der Rückfahrt kommen wir, wegen Schäden an der Oberleitung, erst zweieinhalb Stunden später an) Aber auch das kennen im Stau stehende Autofahrer.
Der Unterschied: im Auto ist man allein mit der eigenen Unzufriedenheit, in Zugabteilen entlädt sich das Alles wesentlich unterhaltsamer. Es wird zur gemeinschaftlichen Erfahrung. Aber genug vom Fahren.
Hamburg ist reich. Viele leuchtende Lobbys, moderne Architektur, Hafen-City, überall Porsche. Die Stadt protzt… sogar der UNIQLO-Store befindet sich in einem historischen Gebäude, voller Marmor, Säulen und Mosaiken. Die Stadt wählt, großstadttypisch, eher “sozial” (33,4 Prozent SPD, 23,7 Prozent GRÜNE und 7,2 Prozent LINKE - Bundestagswahl 2021) , nur dass immer weniger vom Reichtum, über Steuern, bei den schlechter Verdienenden anzukommen scheint. Die Obdachlosigkeit zieht auch hier an.
Deutschlandweit waren zum 30. Juni 2022 447.000 Menschen wohnungslos. Ein Jahr zuvor waren es noch 268.000 gewesen. Dazu kommen oft Drogensucht und psychische Probleme, die heute offensichtlicher scheinen, als noch vor einigen Jahren. Langsam fühlen sich deutsche Großstadt-Bahnhofsviertel an wie amerikanische…und das trotz sozialer Marktwirtschaft und sozialdemokratischen Regierungen.
Die Frage nach Kleingeld ist allgegenwärtig, und viel zu oft, schaue ich weg. Dann kommen die Ausreden in den Kopf: “Ich kann nicht jedem was geben…” , “ist das etwas Organisiertes?” , “für was wird das ausgegeben?” Alles nicht relevant.
Fakt ist: Ich gebe zu selten und fühle mich danach oft schlecht. Oft sind Kopf schütteln und weitergehen fast schon Reflex-Artig, keine Zeit verwenden um über die Situation nachzudenken.
Warum fällt uns Spenden oft schwerer als uns gerne lieb wäre?
Morgan Housel (in Episode #702 der Tim Ferris Show) ist der Meinung, dass es auch daran liegt, dass wir sicher sein wollen, dass unsere Hilfe, unser Geld, einen positiven Unterschied macht. Wir wollen insgeheim eine Reaktion, ein Dankeschön, eine Bestätigung für unsere Großzügigkeit. Geht es also letztendlich wieder nur um die eigene Bestätigung, um das eigene Gut-Fühlen?
Wir können uns nicht sicher sein, dass unsere Spende, egal wie groß, etwas zum Positiven verändert. Uns bleibt nichts anderes übrig als zu vertrauen oder nichts zu erwarten. So ist das eben…Geben heißt auch Kontrolle abgeben. Aber das ist gar nicht so schlimm oder? Einfach geben und dann die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Nicht anhaften, nicht der große Wohltäter sein wollen…einfach etwas abgeben. Für die CHANCE das unser Geld einen kleinen positiven Unterschied machen könnte.
Wir waren aus drei Gründen in Hamburg.
1. The Darkness live in der Markthalle
2. Das allseits beliebte Miniaturwunderland
3. Die Ausstellung Otto Dix und die Gegenwart in den Deichtorhallen
All das hat Spaß gemacht. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich auf Rockkonzerte und gigantische Modelleisenbahnen mittlerweile schwerer einlassen kann, als auf Kunstausstellungen (die meisten Menschen würden vermutlich gegenteilig antworten) Dazu gab es noch leckeres Essen, eine Wärmelampe im Badezimmer der “Superbude” und reichlich Unbeschwertheit (hin und wieder überschattet von Ereignissen an der Börse, von der ich auch im Urlaub nicht die Finger lassen kann)
Natürlich habe ich wieder gefilmt und fotografiert. Melina hat ganz gerne Fotos von sich…ich selbst mag das nicht; was mich zur Frage führt:
Warum stellt sich ein introvertierter Mensch wie ich in den öffentlichen Raum um sich auszudrücken? Warum nicht etwas anonymes, gesichtsloses?
Die Antwort fällt mir schwer. Manchmal denke ich, ich versuche damit der Wunschvorstellung anderer hinterherzulaufen…dann aber gibt mir die Arbeit an den Fotos und Videos wieder mehr Sinn als ich gedacht habe. Es ist persönlicher Ausdruck, der mir gefällt. Das Problem ist denke ich, dass ich nicht genug Selbstvertrauen habe um ganz authentisch zu sein, was dazu führt, dass die fertigen Filme nur in Teilen richtig “unterhaltend”, noch “informativ” sind.
Würde ich mich trauen meine Persönlichkeit vor der Kamera auszuleben, ganz unzensiert, wäre das ehrlicher und häufig lustiger. Aber der öffentliche Raum scheint sich fast nur noch mit Maske betreten zu lassen. Die, die sich trauen ungeschützt in die Schussbahn der Öffentlichkeit zu rennen, werden belohnt, oder zerstört. Das braucht Mut. Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage: Um Mutiger zu werden.
Das war es für heute. Danke dir für deine Zeit. Bedeutet mir wirklich viel.
Wenn du Melina und mich in Hamburg sehen möchtest, kannst du dir spätestens am Mittwoch ein Youtube-Video dazu ansehen (da gibt es dann auch einiges vom Miniatur-Wunderland und der WIRKLICH GUTEN! Dix-Ausstellung zu sehen)
Bis nächsten Montag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Wenn du mich möchtest, antworte mir auf diesen Brief oder teile den Newsletter mit jemandem den du kennst. Danke!
Hab eine gute Woche!
Dein Felix