Hey Du,
Es ist der 30.06.2024.
Nach einer stürmischen Nacht im Westen, sitze ich morgens in meinem neuen Keller-Königreich. Bei summendem Luftfilter drücke ich ein letztes Mal auf “Veröffentlichen”. Das zwölfte, und damit letzte Video aus Japan ist online und ich bin froh drum.
Was sich gut angehört hat: “Ich bringe das ganze Videomaterial einfach mit nach Deutschland und schneide das dann in Ruhe zusammen”
ist nach hinten los gegangen. Jede Woche kämpfe ich mit den Bildern, hadere mit ihnen, bin unzufrieden weil es mir zu wenig DIREKT scheint, nicht aus einem Guß… was auch immer das heißen mag.
Aber ich habe durchgezogen, nicht damit aufgehört, jeden Sonntag das nächste veröffentlicht und das zumindest, ist gut.
Naja, jetzt ist das Kapitel abgeschlossen und wer weiß… manchmal müssen Dinge einfach reifen.
Apropos Kapitel. Da öffnet sich gerade ein ganz großes. Das Kapitel “Eltern werden”. Wenn alles gut geht, wird Melina im November Ruby zur Welt bringen. Und dann wird aus einem Paar, eine Familie. Egoisten werden Eltern.
Wir müssen einiges aufholen… der letzte Brief (findest du auf meiner Blog-Seite) ging vor über einem halben Jahr an dich raus. Dann kam die Reise (dazu später mehr) und die Schwangerschaft. “Habt ihr das geplant” wurden wir immer mal gefragt und auch da hat der alte Horror- Schamane Stephen einen passenden Satz geschrieben:
“Nach drei Jahren Ehe hatten wir zwei Kinder. Sie waren weder gewollt noch ungewollt: Sie kamen zu ihrer Zeit, und wir freuten uns über sie.” - Das Leben und das Schreiben
Das trifft es doch ziemlich gut oder? Ein Kind ist kein Bausparvertrag, oder eine “Anschaffung”… es passiert wenn es passieren soll.
Natürlich war das trotzdem erstmal ein Schock für uns.
Bis zum positiven Test leben wir einfach und kompromisslos, arbeiten in Teilzeit, machen was wir wollen, verbringen viel Zeit miteinander, haben die nächste Reise immer schon im Kopf… und dann das.
Melina weint, ich auch. Das ist viel. Ein Abbruch steht einige Tage im Raum, aus Unsicherheit, dann ist das vom Tisch.
Alles ändert sich? Wir werden jetzt erwachsen? Eltern?
Baby-Turnen, Schwimmkurse und Kindergeburtstage? (Auch jetzt stellen sich mir bei dem Gedanken noch die Haare am Unterarm auf, obwohl der Schreib-Keller angenehme 21 Grad hat)
Ist es denn unausweichlich, dass man mit Verantwortung konventioneller wird?
Dinge so macht wie sie eben gemacht werden? In meiner Unwissenheit will ich mit großen Buchstaben “NEIN” schrei(b)en…aber mal abwarten.
Eins verspreche ich … ich werde versuchen Eltern-Konventionen zu bekämpfen. Ob ich scheitere liest du ja dann vermutlich in meinen Briefen (du bist Teil des Warn-Systems… ich verlasse mich da auf dich! 😉)
Aber wie sieht’s denn jetzt mit dem Geld aus? Machst du jetzt mehr als 20 Stunden die Woche auf der Wohngruppe für geistig behinderte Menschen?
Nein. Ich verbringe die verbleibende Zeit um weiter an meinem Ausdruck zu arbeiten. Wenn irgendwann etwas mehr Geld rumkommt, super … wenn nicht, dann bleiben die materiellen Ansprüche eben wo sie sind: im Keller.
Melina wird nach ihrer Elternzeit auch von 32 auf 20 reduzieren. Das macht ein volles Gehalt und mehr gemeinsame Zeit fürs Eltern sein und Beziehung führen.
”Ganz schön idealistisch” kann man da denken. Vielleicht zu Recht. Aber einen Versuchen ist es wert!
Jetzt erstmal genug vom Eltern werden - es wird in den kommenden Briefen oft genug Thema sein - hin zur vergangenen Reise durch Vietnam und Japan.
Vietnam war ein Reinfall. Und wer war überwiegend Schuld? Ich.
Warum? Weil mir alles zu “touristisch” war (was auch immer das schon wieder heißt), weil ich zynisch und grantig war, und irgendwann mit Vietnam abgeschlossen hatte. Dann zählte nur noch Japan… mitten in Saigon.
Dazu kamen noch fette Magen-Darm-Infekte mit Fieber, Roller-Abgase und Lautstärke. Das erwartete Abenteuer, das locker leichte abschalten fand nicht statt. Es war überwiegend Strapaze, aber nicht ohne Lichtblicke.
Da waren nette Menschen, beeindruckende Landschaften, (für uns) unkonventionelle Lösungen, viel (Galgen)-Humor und auch Heiterkeit.
Nie ist alles schlecht… und im Nachhinein schäme ich mich für meine Widerspenstigkeit und Steifheit. Das hilft einfach nicht.
Noch zwei Sätze für alle die Vietnam als nächstes Reise-Ziel in Erwägung ziehen:
Vietnam ist kein demokratisches Land, Meinungsfreiheit wie wir sie kennen gibt es nicht. Die Lieblings-Touristen der Regierung sind unkritisch und bewegen sich von “Hotspot” zu “Hotspot”… bestenfalls in Begleitung junger Menschen, die gerade “Tourismus” studieren. Wer Abenteuer will und sich abseits der Pfade bewegt, hat es deutlich schwerer.
Hier noch ein paar Fotos:
Dann geht es in den Flieger (Ho Chi Minh City - Tokio) und 6 Stunden später kommen wir aus dem Schwärmen nicht mehr raus.
Japan ist ein Paradies für Reisende, bietet Werkzeuge, die freies Erkunden ermöglichen (Flatrate-Zugticket: JR Pass, viele Touristeninformationen, die Infrastruktur im Allgemeinen, 7 Eleven, Hilfsbereitschaft, bezahlbare Preise…)
Alles scheint machbar:
- Mit dem Zug in einen Nationalpark? Klar!
- Ein 120 km entferntes Ausflugsziel? Steig in den Shinkansen!
- Koffer von Hotel zu Hotel schicken? geht… (haben wir aber nicht gemacht)
- Saubere öffentliche Toiletten und Trinkwasser? Natürlich.
- Vorher sehen was man im Restaurant serviert bekommt? Präparierte Plastik-Gerichte
Es würde noch sehr viel mehr Punkte für die “Machbar-Liste” geben…
Japan ist fremd und vertraut zugleich. Für jedes Problem scheint es Lösungen zu geben. Vieles ist schon älter, aber immer gepflegt. Die japanische Gesellschaft scheint sich ihrer Verantwortung und Pflichten bewusster zu sein, alles baut auf Rücksichtnahme und Konformität auf, was auf Kosten der Individualität geht.
Die Menschen arbeiten viel, haben wenig Urlaub und stehen oft unter Druck. Es wird sich untergeordnet. In Japan leben?… schwierig.
Einige Verhaltensweisen und den allgemeinen Respekt mit nach Deutschland nehmen? Auf jeden Fall!
(Wer sich für Japan interessiert kann Letters from Japan von Burcu Basar abonnieren.)
Auch hier gibt es neun Fotos: (mehr auf Instagram)
Wenn du das alles auch sehen möchtest, kannst du dir insgesamt 12 Videos aus Japan auf Youtube anschauen. Hier geht’s zur Playlist.
Ich komme jetzt langsam zum Ende.
Schreibtechnisch eingerostet, mühe ich mich, 100 Prozent KI-frei zu jedem Satz.
Drei Tage schreibe ich jetzt immer mal wieder weiter.
Aber das wird leichter werden.
Mit Übung wird alles besser, oder?
Noch Lust auf ein Zitat zum Abschluss?
“Seien Sie sich bewusst, dass Diskussionen und Streitereien zu nichts führen. Die Unsicherheit, die den Konflikt umgibt, verhindert, dass etwas dabei gelernt werden kann” - Dr. George S. Pransky - Das Beziehungshandbuch
Bis zum nächsten Mal
(Wenn schon jetzt mehr lesen möchtest, schau auf meiner Blog-Seite vorbei)
Dein Felix
Alles kommt wie es kommen soll… 😌