Es ist Montag, 15:00 Uhr und das hier
ist ein Brief von mir an dich.
Danke fürs Öffnen und Lesen.
Felix
etwas aus…
meiner Kamera
Ein Foto, aufgenommen am 17.5.2023 um 11:10.
Jemand hat Plastikstühle neben die zersägten Baumstämme gestellt. Warum auch immer. Vielleicht Entsorgungsgelegenheit, vielleicht aber auch einfach Pausenplatz.
Vor drei Wochen lagen gleich zwei Stämme quer über dem Waldweg.
Einer entwurzelt, der andere gebrochen…jetzt warten sie zersägt auf Abholung… wie die Plastikstühle neben ihnen.
dem Film
Diese Woche habe ich eine Dokumentation gesehen, die mich schwer beeindruckt hat:„Chimp Empire“ , oder deutsch: „Im Reich der Schimpansen“ (2023 imdB 8,4 zu sehen auf Netflix). Der oscar-prämierte Regisseur James Reed und sein Team verbrachten 400 Tage im Inneren der weltweit größten Schimpansen Gesellschaft. Unterstützt durch Wissenschaftler entstanden 4 Episoden, die die einzelnen Persönlichkeiten der Tiere in den Mittelpunkt stellen.
Wie ein Spiegel für uns menschliche Zuschauer geht es neben Hierarchie, Macht und Politik auch um Ausgrenzung, Einsamkeit, Beziehung und Tod.
„Chimp Empire“ ist nicht vergleichbar mit klassischen Naturdokumentationen. Das liegt einerseits an der charakterzentrierten Erzählstruktur, und dem fantastisch sprechenden Mahershala Ali, andererseits an der Verwendung ungewöhnlicher Filmtechniken. Der dichte Regenwald des Ngogo Nationalparks verhindert das die Schimpansen aus großer Entfernung beobachtet und gefilmt werden können (die längste Linse war eine Canon CN10)
Das Team musste nah ran (teilweise bis auf 7 m) und verwendete deshalb möglichst kompakte und leichte Kameras (Canon C300 und C70) , mit denen auch aus der Hand und in Bewegung gefilmt wurde. Das sorgt dafür, dass die Serie so zeitgemäß wirkt und stilistisch eher einem Drama ähnelt.
„Jackson“, „Rollins“ oder „Myles“ sind irgendwann nicht mehr einfach nur Menschenaffen, sie sind Protagonisten der Geschichte und Herrscher ihres Königreichs.
Auf „Im Reich der Schimpansen“ aufmerksam geworden bin ich durch Folge #1988 der „Joe Rogan Experience“ in der der Regisseur James Reed zu Gast ist und einige Hintergrundinformationen verrät.
meinem Tagebuch
Vom 22.05.2023 | Montag | 21:04 (nach einem Besuch in der Emser Therme)
“Bin mal gespannt wie sich das mit der europäischen Nacktheit entwickelt. Schätze, dass es immer mehr wie in Amerika wird. Sauna ja, aber bitte angezogen. Aber gerade diese ungezwungene Nacktheit, dieses gesunde Verhältnis zu fremden Körpern aller Art…das ist so viel Wert.”
den Kopfhörern
Ich höre wenig Musik. Das will ich ändern.
Was ich recht häufig höre ist Filmmusik. Einfach weil sie hilft mich zu fokussieren. Ganz egal ob beim Schreiben, Schneiden oder Spazieren gehen.
Neben Werken von Alexandre Desplat (Apple|Spotify) tauchen die Soundtracks zu Interstellar (Cornfield Chase | Apple|Spotify) und Dune (kurze Live-Version auf Youtube) immer wieder in meiner Wiedergabeliste auf. Komponiert vom wohl erfolgreichsten Deutschen in Hollywood: Hans Zimmer.
Der ging als Jugendlicher nach England, wo er mit Computern und riesigen Synthesizern, die heute noch in seinem Studio in Santa Monica stehen, die Filmmusik revolutionierte.
Erst im britischen Fernsehen und dann, nach seinem Durchbruch „Rain-Man“, auch in den USA.
Man hört seiner Musik den Technik-Nerd, die Schichten, die Ton-Strukturen und Experimente an. Oft minimalistisch an Tönen, dann dieses rhythmische Ticken.
Am Ende einer sehenswerten BBC Doku (zu sehen auf Arte) sagt er:
„Du hast die Wahl: Du kannst versuchen ein spielerisches Leben zu führen oder ein Leben, das die Verspieltheit ausschließt. Aber das bringt einen nicht weiter…Verspieltheit bringt einen weiter.“
mir
Ich muss gedanklich noch einmal zurück zu den Affen. Diese Welt im zentralen Ngogo Wald… ein Mikrokosmos. Die überschaubare Heimat einer Gruppe von Individuen. Völlig getrennt von anderen Schimpansen-Gesellschaften des afrikanischen Kontinents.
Weit entfernt an der Westküste Afrikas jagen sie mit Speeren. In Ngogo nicht.
Ein Problem, ein Werkzeug, eine Lösung.
Aber die Probleme sind andere.
Wo es Früchte im Überfluss gibt, braucht es keine Speere.
Ich stelle mir meine persönliche Welt gerne kleiner vor.
Jeder und Jede kann etwas, das der oder die Andere nicht beherrscht.
Dadurch vervollständigt die Gruppe ihre Fähigkeiten, es wird sich ergänzt und ausgeglichen. Gemeinschaft als Notwendigkeit.
Unsere Welt ist mittlerweile natürlich anders… Jeder weiß schon vom „Speer“, nachdem dieser irgendwo auf der Welt das erste Mal benutzt wurde, ob wir ihn brauchen oder nicht. Unsere Werkzeuge machen uns selbstständig. Alles allein machen? Heute möglich.
Ich will hier keine zurückgewandte Utopie träumen. Die Welt entwickelt sich und das ist gut so.
Aber niemand kann ausschließen, dass menschliche Imperfektion als Währung wieder wertvoller werden wird.
In unseren kleinen Gruppen. In unserem kleinen Mikrokosmos. In unserem persönlich Ngogo-Wald. In dem wir nicht an den Speer denken, den wir nicht brauchen und dadurch Zeit haben zum Spielen und für Beziehungen. Unser Ziel unsere Nächsten zu unterstützen, ihnen eine Freude zu machen. Wenn sie uns denn brauchen…
Nächsten Freitag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Bis dahin:
Frohes Scheitern und daraus Lernen.
Wenn du möchtest antworte mir auf diesen Brief.
hochachtungsvoll
dein Felix