Es ist Montag, 15:00 Uhr und das hier
ist ein Brief von mir an dich.
Danke fürs Öffnen und Lesen.
Felix
etwas aus…
meiner Kamera
Aufgenommen am 24. Juni 2023 um 06:56
Früh scheint die Sonne durch die Rollläden, unsere Köpfe und Körper sind gerade erst im Sommer angekommen, da beginnen die Tage wieder kürzer zu werden.
dem Film
Seit einigen Wochen gibt es auf Netflix die dreiteilige Mini-Serie ARNOLD zu sehen. Es geht um Schwarzenegger, der es mit 75 mal wieder wissen will (seine Action-Serie FUBAR wurde auch gerade erst veröffentlicht) Die Dokumentation kümmert sich um das Leben, den Mythos Schwarzenegger selbst. Erst Bodybuilding, dann Schauspiel-Star, dann Politiker.
Das ist alles furchtbar beeindruckend. Die Vision eines Mannes… und sonst?
Gibt es Zwischentöne? Selbstkritik?
Nur sehr verhalten…kontroverse Themen werden überwiegend mit österreichischem „Schmäh“ und amerikanischem „Bullshit“ abgetan.
Diese Serie dient Schwarzenegger hauptsächlich dazu, sein Vermächtnis zu festigen. Selbst zu erzählen wie es war, zu inszenieren und auszuschmücken. Er hat die Kontrolle was wir als Zuschauer*innen sehen. ARNOLD als Macher, als Action-Star, der als Politiker Republikaner und Demokraten zusammenbringt um unseren Planeten zu retten. Klingt fast wie im Film..
Ich sage nicht, dass dieser Mann und sein Leben nicht inspirierend sein können aber der aktuelle Trend, dass jede Berühmtheit bei einem der Streamer eine eigene Dokumentation veröffentlicht, um Werbung für sich zu machen (Ed Sheeran, Billie Eilish, Selena Gomez, Meghan und Harry, Toni Kroos, Robert Lewandowski, Pink, Taylor Swift, Conor McGregor…) hat oft nur wenig mit Film zu tun.
Kritisch und unabhängig wird es meistens erst nach dem Tod, Straftaten oder langer Zeit (Michael Jackson, Amy Winehouse)
Ein guter Indikator ob eine Dokumentation konfrontiert und ehrlich ist, ist die Reaktion der Portraitierten selbst. Wenn die Stars die Filme selbst hassen…dann sind da Dinge die weh tun und meistens auch vielschichtiger sind.
Wie „Some Kind of Monster“, der zeigt wie die großen Egos von Metallica sich selbst zerfleischen. In diesem Fall kann so ein, erst verhasster, Blick von Außen sogar den Protagonisten selbst helfen zu reflektieren und aufzuarbeiten.
meinem Tagebuch
Vom 23.6.2023 18:30 Freitag
„Uff Cringe..“ Kommentiert heute @affekakao unter einem zwei Jahre alten Video von mir, einem Cover von Coldplay’s Magic. So etwas trifft immer, lässt die Gedanken kreisen, lässt den Appetit vergehen. Ich kann nicht anders als es persönlich zu nehmen und genau deshalb ist es wichtig. Weil jemand der etwas in den öffentlichen Raum stellt, lernen muss, Kreation von Persönlichkeit zu trennen. Sonst wird man aufhören Dinge zu teilen. Und klar: das Video ist cringe (obwohl wahrscheinlich die Verwendung von „cringe“ mittlerweile schon cringe ist) aber was soll’s? Das passiert. Gerade dann wenn man allein verantwortlich ist. In größeren Teams werden Erfolg und Misserfolg auf mehrere Schultern verteilt. Die Fallhöhe ist niedriger. Steht man allein da, muss man lernen die eigenen Fehltritte als Teil des Prozess zu akzeptieren. Nur nach ganz viel „CRINGE“ folgt vielleicht irgendwann AKZEPTABEL…und GUT ist zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in Sichtweite. Ohne Hingabe kein Weitermachen.”
den Kopfhörern
Kraftklub hören macht mir gute Laune. Gerade im Sommer passt dieser durchgängig, tanzbare Backbeat. Diese in Humor verpackte Kritik, die nichts von der Leichtigkeit nehmen möchte…nicht so triefend bedeutungsschwer wie andere Musik, die im Winter besser funktioniert.
Gerade höre ich „Teil dieser Band“ (Apple | Spotify) , der erste Song von KARGO, dem aktuellen Album, der davon handelt, dass dieses unkonventionelle Leben einer Band, nicht an Ruhm, Geld und „Können“ gebunden, sondern Lebenseinstellung ist…und dann kann passieren was will…
Und irgendwann müssen wir vom Nightliner fahren über Nacht
Zurück zum Sprinter, sitzen zu acht
Von Sekt und Toast, nach Headline Shows
Zu im Backstage gibt’s für alle Acts nur ein Klo
Im Cateringbereich gibt’s jeden Tag Reis
Wir schmuggeln wieder Merchandise am Körper in die Schweiz
Die Live Crew besteht aus dem halben Freundeskreis
Alles wieder klein, könnte schlimmer sein
- aus “Teil dieser Band” von Kraftklub
mir
Was hält ARNOLD, mein CRINGE-Moment und TEIL DIESER BAND zusammen?
Ich würde sagen Hingabe. Einfach nicht aufhören. Einfach weiter. Auch wenn es weh tut, auch wenn kommerzieller Erfolg und Ruhm ausbleiben, auch wenn niemanden interessiert was man tut. Ich kann es tun oder sein lassen. Ganz unabhängig vom Umfeld.
Hat man HINGABE wird man es weiter tun.
Hingabe erfordert, dass wir die Absperrung auf der Landstraße umfahren, die Schranke, die unsere Bequemlichkeitsgesellschaft errichtet hat. Denn das ist die Stelle, an der es unangenehm wird, der Punkt, wo Panik, Selbstzweifel und Desillusionierung einsetzen. Hier beginnt die dunkle Nacht der Seele, der Sumpf der Verzweiflung. Doch wenn wir ihn nicht durchwaten, kann sich in unseren Köpfen nichts ändern. Und dann gibt es keine Hoffnung auf einen fundamentalen Wandel in unserer Kultur.
Naish, John. Genug: Wie Sie der Welt des Überflusses entkommen (S.276)
Nächsten Freitag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Wenn du möchtest antworte mir auf diesen Brief.
hochachtungsvoll
dein Felix